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Johannes Brinkmann
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S T I M M T : J E S U S W A R S C H W U L !
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Lesermeinung von Johannes Brinkmann (Katholik) Sänger, Schauspieler und Autor aus Essen www.johannesbrinkmann.de
Auf Seite neunzig schreibt Klaus Dede in seinem Buch Jesus – schwul?: “Weil also die christliche Religion nie zu einem in sich widerspruchsfreien Regelwerk erstarrte, sondern stets aufs Neue begründet werden mußte, oder anders gesagt: immer wieder Ketzer produzierte und damit neue Antworten erzwang, wurde die Kultur möglich, mit der wir uns heute auseinandersetzen.”
Als Jürgen Zehnle mich bat, hierfür eine Rezension zu schreiben, kannte ich weder das Buch noch Klaus Dede. Ich hatte Jürgen Zehnle einige meiner Texte geschickt, als ich davon erfuhr, daß der Schutter Verlag ein Buch herausgeben wollte, daß sich mit der These befaßt, ob Jesus vielleicht schwul gewesen sei. Ich stimme dieser These zu, und so habe ich gerne die Aufgabe übernommen, es zu rezensieren.
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An den Anfang meiner Betrachtung setzte ich das Zitat, da Klaus Dede gut beschreibt. Er versteht sich bewußt als Ketzer und bekennender Atheist und möchte, ohne selbst dogmatisch zu sein, eine dogmatisierte Kirche dazu zwingen, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Er will einen Diskurs anregen. Ein sehr angemessener, ja bescheidener Wunsch, wie ich finde, denn man spürt beim Lesen deutlich, hier schreibt einer nicht allein aus fundierten intellektuellen Motiven, nein, dieser ringt mit dem Thema mit seiner ganzen Existenz. Das verdient Anerkennung und ernsthafte Auseinandersetzung, auch wenn man, wie Klaus Dede durchaus zubilligt, nicht in jedem Punkt mit ihm übereinstimmt.
Er wurde am 1. Juni 1935 in Nordenham-Biexen als Sohn des evangelischen Pfarrers Günther Dede und seiner Ehefrau Helene, geborene Brauer, geboren. Als Schwuler in diese Zeit und in diesen Rahmen gesetzt zu sein, nenne ich ein Kreuz. Ich selber bin erst 1959 geboren. Als mir als Jugendlicher bewußt wurde, daß ich schwul bin, hatte draußen vor meiner Türe gleichsam ein Erdrutsch stattgefunden. In New York hatten sich Schwule gegen Polizeiwillkür erfolgreich zur Wehr gesetzt, die `68er Bewegung tat ihr übriges, und so hatte ich die Chance, mein Schwulsein viel leichter positiv anzunehmen, als es Klaus Dede wohl zu seiner Zeit möglich war.
Er wurde als Sohn eines Vaters geboren, der einem himmlischen Vater diente, der seinen eigenen eingeborenen Sohn ganz offensichtlich unter Greuel ablehnte. So mußte er wenigstens einen dieser Väter rausschmeißen, um ein aufrechter und selbstbewußter schwuler Mann werden zu können. Daß es dabei den himmlischen Vater traf, wundert mich nicht.
Ich selber glaube an diesen himmlischen Vater. Und wie ich ihn kenne, hat er kein größeres Ziel, als aufrechte, aufrecht gehende und selbstbewußte Menschen zu fördern. Den gebeugten Menschen aus der Knechtschaft zu befreien, das ist sein Ziel! Und wenn sich, wie im Fall von Klaus Dede, dieses Ziel nur erreichen läßt, indem er sich selbst rausschmeißen läßt, so nimmt er gerne die Schuld auf sich. Daß Klaus Dede in der Tat ein aufrechter Mann wurde, beweist das vorliegende Buch.
Sein Kindheitsgefühl drückt der Autor durch ein Filmzitat aus. Dreimal war er in einem Film über einen Jungen, der sich völlig willenlos treiben ließ – in der Freiheit ebenso wie im Heim – und äußerte sich zu dem, was da mit ihm geschah niemals. Nur einmal kommt es zu einem Gespräch mit einem anderen Menschen – und zwar mit dem Mädchen, in das er sich verliebt hat, und hier kommentiert er das, um was es in seiner Biographie geht, sehr treffend mit einem einzigen Satz. Gefragt, warum er so verfolgt wird, antwortet er nämlich: „Ich bin nicht so, wie die mich haben wollen.“ Dieser Satz könnte geradezu von Gott selber stammen: „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege“ spricht Jahwe. (Jesaja 55.8)
Die Ablehnung der Homosexualität – vor allem der männlichen - hat das Christentum aus dem Judentum übernommen. Homosexualität widerspricht der Männerrolle. Die Juden des alten Testamentes, schreibt Klaus Dede auf Seite siebenundfünfzig, kennen eine zentrale Angst, nämlich daß ihr Volk irgendwann einmal zu schwach sein könnte, um sich gegen die Nachbarn zu behaupten. Falls eine solche Situation eintreten sollte, drohte mit Sicherheit der Untergang. Deshalb gab es für den jüdischen Mann eine Pflicht, die alle anderen überragte: „Er mußte so viele Kinder, vor allem natürlich Jungen, zeugen als möglich.“ Denn im Notfall brauchte das Volk Krieger. Jede Sexualität, die diesen Zweck, nämlich Kinder zu zeugen, nicht hatte, war Juden im Prinzip verboten – eine Position, die später die christlichen Kirchen übernahmen und dann naturrechtlich begründeten. Ein schwuler Mann zeugt keine Kinder und taugt, wenigstens nach jüdischer und christlicher Vorstellung, auch nicht als Krieger. Ist also kein richtiger Mann!
Die christlichen Kirchen sind für Klaus Dede eine "Erziehungsdiktatur“! Sie wollen auf der Basis von Dogmen den Menschen so erziehen, daß unerwünschte Entwicklungen von vornherein abgeschnitten werden. Für besonders problematisch halten die Kirchen die Lust. Sie soll kontrolliert werden. In der Lust sehen die Kirchen deshalb den Sündenfall, die Erbsünde, denn jeder Mensch ist für sie in Sünde empfangen.
Fürchteten die Juden den Untergang, wenn sie sich nicht gegen ihre Nachbarn behaupten könnten, so fürchten die christlichen Kirchen den Untergang der christlichen Gesellschaften, wenn sie sich nicht gegen die Lust behaupten können. Sie werden zu Kriegern gegen die Lust. Sie wird von ihnen nur unter bestimmten Umständen – innerhalb der Ehe und zur Zeugung eines Kindes – in Kauf genommen. Daraus folgt in der Praxis, daß jede Form von Empfängnisverhütung, jeglicher homosexueller Geschlechtsverkehr sowie die Selbstbefriedigung verboten sind.
Der offensichtlichste Ausdruck der menschlichen Sexualität, so wird Klaus Dede nicht müde zu erwähnen, ist der Penis des Mannes. Wie ein Anarchist entzieht er sich jeglicher Kontrolle. Zu allen möglichen und unmöglichen Situation richtet er sich einfach auf und verrät die Lust. Dies will die religiöse Erziehung unterbinden. Das gewünschte Verhalten soll dabei von Gott selbst befohlen sein. Ich nenne den Penis bewußt den offensichtlichsten Ausdruck der menschlicher Sexualität und nicht nur der männlichen Sexualität. Denn Frauen hatte man über Jahrtausende jegliche Sexualität abgesprochen, eben, weil ihnen dieser offensichtliche Ausdruck fehlt. Man konnte ja nicht in die Frau hineinsehen und wußte nichts von ihrer Sexualität.
Noch heute werden Mädchen auf unserem Globus beschnitten, damit sie ihrer Rolle als Zeugungsobjekt für die Männer entsprechen. Frauen sollen ihre Rolle sein, weiter nichts! Auch hierin wird deutlich, daß der, der die Sexualität hat, auch die Freiheit hat. Und die Sexualität hatten und haben bei Juden, Christen, Muslimen - und nicht nur bei diesen - die Männer. Ihre Freiheit aber wurde für den heiligen Zweck vom gemeinsamen Interesse, nämlich dem der Wehrhaftigkeit und der Selbsterhaltung eines Volkes oder einer Glaubensgemeinschaft und zum Erhalt der Art eingeschränkt.
So wurden den Männern die Macht und die Freiheit zugesprochen, denn nur sie hatten Sexualität, und zugleich wurden auch sie beschnitten, indem man sie auf ein gewünschtes Sexualverhalten hin erzog. Ich habe das in einem Lied von mir, dem Lied Seelentanz, das ich in zwei Versionen schrieb, auf folgende, zugeben provokante Formel, gebracht: „Dein Kopf erträgt Dich nur heterosexuell, Dein Herz nur als Krieger!“
Wem die Führung der christlichen Kirche anvertraut ist, fürchtet nichts mehr als unkontrollierte Sexualität. Da fängt der Boden unter ihm an zu schwimmen, da droht der Untergang. Da fällt mir Petrus ein, der von Jesus ermuntert auf Wasser zu gehen, zu sinken fürchtete. Sofort ergriff Jesus seine Hand mit den Worten: “Du Kleingläubiger, warum hast Du gezweifelt?“ (Matthäus 14.31)
Da ist die Versuchung für den Kirchenführer groß, das Bild vom Hirten und seinen Schafen etwas zu wörtlich zu nehmen und die Schafwerdung des Menschen seiner Menschwerdung vorzuziehen. Schafe sollen sie sein, aber bitte keine scharfen Schafe, denn wie leicht überhört ein geiles Schaf den bellenden Schäferhund?
Am Liebsten will er alles Ungewollte wie Unkraut herausreißen, um das zu erreichen, was er Reinheit nennt! Jesus aber mahnt ihn: Nein! Damit ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Laßt beides miteinander wachsen bis zur Ernte!“ (Matthäus 13.29-30)
Klaus Dede beschreibt Jesus als hellenistischen Juden, denn die Griechen hatten zur Homosexualität ein völlig anderes Verhältnis als die orthodoxen Juden. Homosexuelle Praktiken waren gesellschaftlich etabliert. So stand Jesus, wie Klaus Dede ihn uns vorstellt, gleichsam mit dem einen Fuß am diesseitigen Ufer des Sees Genezareth, an dem er als Jude wohnte, und mit dem zweiten Fuß auf dem anderen Ufer, wo hellenistische Juden wohnten. Das ist für mich geradezu eine tiefenpsychologische Erleuchtung. Er nötigte nämlich seine Jünger, kurz bevor er ihnen auf dem Wasser des Sees entgegenkam, ans andere Ufer vorauszufahren. Steht Jesus nämlich mit den Füßen jeweils an beiden Ufern des Sees, so hat er ihn überbrückt wie einen bisher unüberwindlichen Abgrund, steht gleichsam auf jedem Punkt des Sees auf festem Grund.
Bei den Griechen gab es die homosexuelle Beziehung eines älteren Mannes zu einem Jugendlichen: „die Eigenschaften des Mannes, sein Heldentum, seine arete werden durch die Liebe auf den geliebten Knaben fortgepflanzt“, und zwar durch das Sperma. So erlebten der Erastes, so der griechische Ausdruck für den Liebhaber, und der Eromenos, so nannte man den Geliebten, in der Abgeschiedenheit des Landes ihre Flitterwochen, in der sie ihre „fleischliche Vereinigung am heiligen Ort selbst unter dem Schutz der Götter“ vollzogen, ehe der Mann den Knaben beschenkt mit einer Kriegsrüstung, einem Becher und einem Rind, nach Hause entließ. Rüstung und Becher behielt der junge Mann, während das Rind feierlich geschlachtet und gemeinsam verspeist wurde.
Konkret geschah das, indem der Eromenos den Samen des Erastes in sich aufnahm. Das Sperma war deshalb wichtig, weil es die Seele des Mannes enthielt, die auf diese Weise an den anderen überging, eine Vorstellung, die übrigens – neben vielen anderen – auch die Juden hatten, weswegen es für sie so entscheidend war, Kinder, und zwar Söhne, zu zeugen. Dieses Verhältnis zwischen dem Erastes und dem Eromenos erkennt Klaus Dede im Verhältnis Jesu zu seinem Lieblingsjünger Johannes wieder, der in Jesus Schoß lag, als er sich den Jüngern gleichsam als geschlachtetes Lamm, in Wein und Brot, in Fleisch und Blut, zur Speise gab.
Tatsächlich bildet die mystische Emotion, die zwischen Jesus und seinem Lieblingsjünger vorlag, besonders in dem nach ihm benannten Johannesevangelium beschrieben, nicht nur eine Einheit der Seelen zwischen Jünger und Meister, sondern sie sind im tiefsten Sinne ein Fleisch und eine Seele! Das macht deutlich, daß es hier nicht zuerst um die Lust ging, um die auch, sondern um eine mystische Vereinigung. Oder wie es im Johannesevangelium selber heißt: Das Fleisch ist nichts, der Geist ist alles!“ - Johannes 6.63
Der Sexus stand hier nicht im Vordergrund, sondern überschäumende Erotik! Jesus sehnte sich als Erastes nicht nach einem Jüngling, den er mit seiner Manneskraft besamte, und sie so an ihn weitergab, sondern er sehnte sich nach einer Vereinigung zweier gleichberechtigter ausgewachsener Männer, die sich in überschäumender Lust im Geist vereinten, ein Fleisch und ein Geist zu werden, um so erneuert und verbunden, die Welt aus den Angeln zu heben und sie zu erneuern aus dem Geist ihrer Liebe. Und das mit dem Segen Gottes, der eins ist mit uns, weil er uns gesandt hat! So ist die Vereinigung von Jesus mit Johannes die erste Homoehe, und aus ihr soll das Heil der Welt erwachsen, so will sie es!
Das Johannesevangelium gibt nicht - wie Klaus Dede es bedauert – den besonderen Führungsanspruch des Johannes, der sich aus dieser Vereinigung ergab, zu Gunsten des Petrus auf, um in der jungen Kirche die Harmonie nicht zu gefährden, sondern übergibt das letzte Wort an Jesus selbst, und zwar an den Auferstandenen: „Wenn ich will, daß er (Johannes) an meiner Seite bleibt, bis ich komme, was geht das Dich (Petrus) an? Du folge mir!“ – Johannes 21.22
Mit diesen Ausführungen komme ich nun zu einem Kritikpunkt an Klaus Dedes Buch. Er spricht viel über Sexualität, und er spricht viel über Erotik. Sexus und Eros sind bei ihm zwei Worte mit scheinbar gleichem Inhalt. Das ist für mich nicht so. Der Sexus entspringt der Fleischeslust, der Eros einer Seelenlust. Klaus Dede scheut diese Unterscheidung, die in Platon begann, weil er hier den Anfang allen Übels, den Anfang aller Sexualfeindlichkeit sieht. In der Tat hat Paulus diese Unterscheidung benutzt, das Fleisch für böse zu erklären.
Ich aber möchte hier Sigmund Freud zitieren, dem man ja nun wirklich nicht nachsagen kann, sexualfeindlich gewesen zu sein. Er schrieb an Albert Einstein auf die Frage, warum sie beide Pazifisten seien, daß alles, was friedlich zusammenführen und vereinen will, dem Eros entspringt, dagegen steht die Aggression! Nun kann der Sexus sogar pure Aggression sein. Dem Eros ist Aggression dagegen fremd! Wenn es nach dem Sexus geht, scheint die Frage, wer oben und wer unten liegt, eine ungeheuer wichtige. Der Eros dagegen empfindet gleichberechtigt, er erhebt sich nicht. Die Aggression des Sexus hat in unserer Kultur mittlerweile sogar die Ökonomie erfaßt: Bist Du nicht oben auf, dann bist du schnell ganz unten! Wer fickt hier wen, wer ist unter- wer ist überlegen?
Und so möchte ich nun noch einmal an den Anfang meiner Überlegungen zurückkehren. Ich schrieb, dem Mann wurde die Macht gegeben, weil er die Sexualität hat, soll aber zugleich beschnitten werden. So vermittelt es auch das alte Testament. Diese Beschneidung will ihn nicht auf die Heterosexualität beschränken und ihn ermahnen, daß er notfalls Krieger sei und Krieger hervorbringen soll, sondern sie will ihn ermahnen, um des Eros willen, die Aggression abzuschneiden. Der gute Hirte will den Menschen befruchten, nicht damit er/sie ein Schaf wird, sondern, wie er, ein guter Hirte.
Die Aggression soll abgeschnitten werden, und damit auch das Prinzip des Krieges, auf das hin die bisherige Männerrolle den Mann nach Gottes vermeintlichen Willen erziehen wollte. Wenn es eine Erbsünde gibt, dann liegt sie in diesem System, das den Krieger begünstigt. Das ist dann aber keine Erbsünde, in der der Mensch durch Geburt steht, sondern eine aufgrund von Erziehung, oder besser von Erziehungsdiktatur.
„Ich bin nicht so, wie die mich haben wollen.“ An Menschen, die so leiden, richtet Jesus seine berühmte Bergpredigt: „Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Selig die Sanftmütigen (die nicht dogmatisch sondern anregend sind), denn sie werden das Land besitzen. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden...“ Und denen, die sich sauberer fühlen als andere, mit einer treuen Ehefrau und großer Kinderschar, denen ruft er zu. Ich übersetze frei: „Schmutzig ist, wer schmutzig denkt! Achtet also auf Eure Gedanken und auf Eure Blicke, wie schnell fällt doch der Schmutz, den ihr anderen nachsagt, auf Euch selbst zurück, und am Ende steht ihr selber da als Ehebrecher! - Matthäus 5.27-28 Wer also von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie!“ - (Johannes 8.7 Sagt auch nicht, diese oder jene seien ein Greuel vor dem Herrn. Gebt acht, sonst seid am Ende ihr selbst das Greuel!“ - Leviticus 18.22
Ich stimme mit Klaus Dede überein, wenn er auf Seite achtundvierzig schreibt: „An die Stelle des Dogmas tritt in dem Modell, das ich hier vortrage, die Einsicht, daß es darauf ankommt, unsere Emotionen durch unsere Vernunft zu disziplinieren. Kein Dogma ist akzeptabel, nicht mal eines aus dem Munde Jesu.“ Das einzige, dem sich der Mensch unterwerfen muß, sind die Vernunft und die Weisheit! Beides ist der Mensch in der Lage zu erkennen, beiden muß er sich unterwerfen. Wer das nicht tun will, den schaue ich fragend an: Atmen wir nicht die gleiche Luft? Kannst Du wirklich wollen, daß die Maxime Deines Handelns ein allgemeingültiges Gesetz wird? Erstickst Du nicht vielmehr alles mit Deiner Dummheit? Geh und ersticke alleine, ich will nicht mit Dir gehen. Deine Dummheit soll nur Dich erwürgen. Und doch atmen wir alle die gleiche Luft.“ (Lukas 19.27)
Und so freue ich mich, daß Jürgen Zehnle Johannes 8.32 mahnend an den Anfang des Buches stellt: Die Wahrheit wird Euch frei machen!“
Wie ich schon sagte, bin ich nicht wie Klaus Dede ein bekennender Atheist, sondern bin Teil meiner Kirche, der katholischen, geblieben. Genauso wie Klaus Dede auf Seite einhundertsechsundfünfzig ermutigt, arbeite ich mit der nötigen Überzeugungskraft, aber auch mit Hartnäckigkeit mit. Ich zeige offen mein Gesicht als schwuler Mann mit Klarheit und Glaubwürdigkeit und stelle so den Verantwortlichen Hirten und Gläubigen vor die Frage: Wo ist hier eigentlich das Problem?“
Aber gerade weil ich gläubig bin, will ich die Frage stellen, warum Jesus schwul war, und nicht nur ob? Was hat sich Gott dabei gedacht? Zum einen solidarisiert sich einer, der selber das Gefühl Ich bin nicht so, wie die mich haben wollen“ kennt, leichter mit den Benachteiligten, denn er ist selbst betroffen, zum anderen stellt sich die Frage, ob nicht in dieser Wahrheit – Jesus ist schwul! – eine freimachende, ja erlösende, Erfahrung für alle Christgläubigen steckt? Also eine Wahrheit, die frei macht?
Nehmen wir zwei Sätze aus dem alten Testament: Der Stein, den die Bauleute verwarfen, der ist zum Eckstein geworden.“ (Psalm 118.22) Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben“ (Sacharja 12.10) Betrachte ich zum Beispiel diese beiden Textstellen mal mit den Augen der Evangelikalen, die aus Amerika kommend, mit ihrem Dogmatismus auch in Europa an Macht gewinnen wollen, so werden sie vielleicht dabei an die Juden denken, die bei der Wiederkehr Jesu erkennen müssen, daß sie die Bösen sind, weil sie ihren eigenen Herrn töteten und durchbohrten, so daß er für sie, genauso wie für alle anderen Menschen, elendig ausbluten mußte. Seit dem Film The Passion von Mel Gibson wissen wir, daß er dabei wohl locker an die einhundertzwanzig Liter Blut verloren haben muß. So schlecht sollen sich die Juden fühlen; so dumm ist der Antisemitismus dieser Evangelikalen.
Wenn aber Jesus schwul war, bekommen diese beiden Textstellen plötzlich einen ganz neuen Geschmack. So kann keiner sich brüsten, alles besser gewußt zu haben, als die anderen. Alle sind gleichermaßen überrascht und betroffen. Eine echte Chance zur Versöhnung, die uns diese Krise schenkt!
Geschrieben am Fest der heiligen Maria Magdalena, den 22. Juli 2006
Johannes Brinkmann (Katholik) Autor, Sänger und Schauspieler aus Essen www.johannesbrinkmann.de Meine Rezension finden Sie unter „Buchrezensionen“
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